Vorträge
Die Veranstaltungen finden, sofern nicht anders angegeben, im ChorForum Essen,
Fischerstr. 2-4, statt.
Der Eintritt ist in der Regel frei.

Donnerstag, 26. Januar 2023
Prof. Dr. Wolfgang Senf (Essen):
Fake News und Verschwörungserzählungen: Wie sie unsere Wahrnehmung und unser Denken beeinflussen können

Gegenstand der klinischen und wissenschaftlichen Arbeit von Wolfgang Senf sind u.a. sogenannte Narrative, also sinnstiftende Erzählungen darüber, wie jemand seine Welt, seine Umwelt, sich selbst, sein eigenes Leben und das Leben der anderen wahrnimmt und darüber erzählt. Auf diesem Hintergrund geht es in dem Vortrag darum, ob und wie vor allem in gesellschaftlichen Krisen Verschwörungserzählungen für das individuelle Erleben eine nachhaltig stabilisierende Funktion bekommen können.
Prof. Dr. Senf war bis 2013 Universitätsprofessor am Klinikum Essen für das Fachgebiet Psychosomatische Medizin und Psychotherapie und ärztlicher Direktor der dazugehörigen Klinik.
Donnerstag, 23. Februar 2023
Dr. Bertold Heizmann (Essen):
Goethes „Stella“ und der zwiebeweibte Graf. Zur literarischen Karriere eines Männertraums

Kann das gut gehen? Ein Mann mit zwei Frauen? Seit Jahrhunderten haben sich immer wieder Schriftsteller dieses aufreizenden Themas angenommen: nicht nur in der Literatur, sondern auch in ihrer eigenen Lebensführung, und haben sich dabei sogar auf päpstlichen Dispens berufen. Selbst Goethe hing in seinem Schauspiel „Stella“ diesem Männertraum nach – allerdings nur in der Frühfassung, später hat er das Ende tragisch abgeändert. Das Stück hat in beiden Fassungen bei seinen Zeitgenossen heftige Auseinandersetzungen ausgelöst. Der Vortrag zeigt mit Beispielen aus Literatur, Musik und Film, wie sehr das Thema immer wieder neu faszinierte.
Donnerstag, 23. März 2023
Do., 23.03.2023: Vicki Spindler & Jutta Hoffmann (Weimar/Berlin):
Jammern gilt nicht. Ein spätes Gespräch der Johanne Eckermann mit Christiane von Goethe. Ein gelesenes Spiel

Die beiden Frauen begegneten sich nie und doch hätten sie sich, so denke ich, wohl Einiges zu erzählen gehabt. Verblüffend sind, wenn man genauer hinsieht, die Ähnlichkeiten, aber auch die Unterschiede zwischen ihnen. Christiane, „Bettschatz“ und spätere Ehefrau des größten deutschen Dichters: Goethe. Johanne, „Langzeit-Verlobte“ und „Kurzzeitehefrau“ des Freundes des Dichters: Eckermann.
Goethe wird verehrt, ist berühmt und beansprucht bis heute fast unangefochten den Dichterthron, während Eckermann zu den unzähligen, kleinen Randgestalten der Weimarer Klassik zählt, wenn er nicht ganz vergessen ist.
Dies ist aber vor allem ein Abend über ihre Frauen. Sie plaudern miteinander, grenzen sich ab, stellen klar, foppen sich, lachen gemeinsam, gestehen sich tiefste Herzensabgründe und sind einmal nur Frau, nur Mensch und dabei fast ausgelassen, denn wer hätte ihnen zugehört, damals!?
Heute, jetzt, stehen sie im Mittelpunkt und dabei wandelt sich vielleicht das überlieferte Bild, welches wir über sie UND ihre Ehemänner haben? Vielleicht sehen wir klarer, vielleicht relativieren wir, vielleicht denken wir weniger streng oder einseitig oder die Grenzen zwischen Dichter und Mensch werden verschwommener?
Ein ehrlicher Abend über vier Menschen, die mit ihren Mitteln und Möglichkeiten versuchten glücklich zu sein.
Donnerstag, 27. April 2023
Prof. Dr. Volker Hesse (Berlin):
Goethe, Schiller – Kreativität trotz Krankheit

In dem Vortrag wird darauf eingegangen, dass Goethe und Schiller in ihrem Leben zum Teil schwere physische und psychische Erkrankungen bewältigen mussten. Aber gerade in Zeiten der schweren Belastungen haben beide beeindruckende Werke geschaffen. Während bei Friedrich Schiller seit den 1790er-Jahren eine schwere Lungenerkrankung und zusätzliche Erkrankung des Darmes im Vordergrund stand, hatte Goethe neben sieben lebensbedrohliche Erkrankungen auch zahlreiche ihn belastende chronische Erkrankungen in seinem 82jährigen Leben zu erdulden. Er überwand die Krisenzum großen Teil auch durch psychisch befreiende Arbeit, entsprechend dem Motto aus seinem Tasso: „Und wenn der Mensch in seiner Qual verstummt, gab mir ein Gott zu sagen, was ich leide“.
Friedrich Schiller war in seinem nur 45-jährigen Leben, seit einer Krise im Jahr 1791 chronisch krank und hat nur noch zeitweilig arbeiten können. Trotzdem hat er gerade in den letzten fünf Jahren vor seinem Tod seine großen dramatischen Werke geschaffen: 1800 Maria Stuart, 1801 die Jungfrau von Orleans, 1803 die Braut von Messina und 1804 Wilhelm Tell. Der 1805 begonnene Demetrius blieb unvollendet. Schillers Vision: „daß vielleicht in 100 und mehr Jahren… man mein Andenken segnet… versöhne mich mit Gott und meinem oft harten Verhängniß“ ist in Erfüllung gegangen. Seine „Ode an die Freude“ ist heute in der musikalischen Gestaltung Beethovens die Hymne Europas.
Donnerstag, 25. Mai 2023
Dr. Dieter Strauss (Offenbach):
„Wir beschreiben ja nicht um zu beschreiben, sondern um beschreibend zu verändern!“ Über Anna Seghers

„Ich bin nicht Klaus Mann“ schreibt Günther Grass entgeistert in Anspielung auf dessen offene Kritik an Gottfried Benns Unterstützung des Nationalsozialismus an Anna Seghers, als die sich im August 1961 nicht zu dem innerdeutschen Mauerbau äußert. – Verlässt sich Anna Seghers ganz auf die Änderungskraft ihrer Werke und nicht auf lauten Protest? Eine Frage, der wir in ihren drei
Romanen, „Das siebte Kreuz“ (1942), „Transit“ (1944) und „Die Toten bleiben jung“ (1949) nachgehen.
Die anschließende Darstellung ihrer wichtigsten Lebens- und Exilepochen in Mainz und Berlin, in Paris und Mexiko sowie in Ostberlin erklärt ihren Glauben an die Veränderungskraft der Literatur, die sie für wichtiger hält als schrille öffentliche Ablehnung.
Der Referent Dr. Dieter Strauss hat 33 Jahre für das Goethe-Institut in sieben Ländern gearbeitet und lebt heute als Referent und Sachbuch-Autor in Offenbach am Main
Donnerstag, 15. Juni 2023
Dr. Dr. Manfred Osten (Bonn):
Goethe, der „Konfuzius von Weimar“? – Zur Aktualität des Goethe’schen Chinaverständnisses und der Möglichkeit eines chinesischen Jahrhunderts

„Ich habe mir dieses wichtige Land (gemeint ist China) aufgehoben, um mich dorthin im Falle der Not zu flüchten“. Gibt es einen Zusammenhang zwischen diesem Bekenntnis Goethes von 1813 und dem Aufstieg Chinas der letzten 40 Jahre? Warum ist es in so kurzer Zeit gelungen, 700 Millionen Menschen aus der Armut zu befreien? Warum ist China zuversichtlich, bis 2030 wieder das zu sein, was es schon einmal war: die technologische Führungsmacht der Welt? Hat Goethe etwas gewusst vom Betriebsgeheimnis des chinesischen Erfolgs seit Deng Xiaoping? Welche Herausforderungen für den Westen ergeben sich aus diesem ›Betriebsgeheimnis‹?
Dr. Manfred Osten ist uns noch aus seinem Festvortrag auf unserer Jubiläumsfeier über Goethes Prophetie der Welt als „großes Hospital“ bestens bekannt. Der Goethe-Kenner und ehemalige Diplomat mit siebenjähriger Erfahrung in Fernost wird diesen Fragen mit Blick auf die gegenwärtige geopolitische Weltlage nachgehen.
!! Achtung, Terminänderung !!
Unsere nächste Veranstaltung findet nicht am Donnerstag, 17. August 2023,
sondern bereits am Donnerstag, 10. August statt.
Prof. Dr. Wolfgang Bunzel (Frankfurt a. M.):
Die Brentanos und Goethe – Stationen einer spannungsreichen Beziehung

Goethe hatte zu den Mitgliedern der Familie Brentano zeitlebens ein gespaltenes Verhältnis. Erst musste er mit ansehen, wie die von ihm verehrte Maximiliane von La Roche den Großkaufmann Pietro Antonio Brentano heiratete, dann erlebte er, wie dessen Kinder Clemens und Bettine ihn überschwänglich verehrten und zugleich für die Romantik vereinnahmen wollten. Vor allem Bettine von Arnim geb. Brentano erwies sich als so fordernd, dass er schließlich den Kontakt zu ihr abbrach. Nur zu den älteren Geschwistern Georg und Franz Brentano, besonders aber zu Franz’ Ehefrau Antonia geb. von Birkenstock, entwickelte sich ein entspannt-herzliches Verhältnis. Der Vortrag gibt einen Gesamtüberblick über die wechselvolle Beziehung Goethes zu den charakterlich so unterschiedlichen Mitgliedern der Familie Brentano.
Prof. Bunzel ist Leiter der Abteilung Romantik-Forschung im Freien Deutschen Hochstift/ Frankfurter Goethe-Museum
Donnerstag, 21. September 2023
Prof. Dr. Michael Wetzel (Bonn):
Mignon, die poetischste Figur im Werk Goethes

Mignon ist sicherlich die poetischste Figur im Werk Goethes. Ihr Italienlied („Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn…“) ist zum Inbegriff der Sehnsucht nach dem Süden geworden. Dass Goethe sie aber als Symbol einer ästhetischen Rechtfertigung des Daseins im Bildungsroman Wilhelm Meister opfert, haben besonders die Frühromantiker ihm übelgenommen. Für sie ist Mignons Tod nur eine Verklärung in einen höheren geistigen Zustand. Aber auch im Werk Goethes hört Mignon nicht auf, in anderen Gestalten wiederzukehren, z.B. in der Ottilie der Wahlverwandtschaften, im Gretchen, ja selbst in der Helena-Figur.
Dies wird der Vortrag nach einer kurzen Zusammenfassung des grundlegenden Romans Wilhelm Meisters Lehrjahre zu zeigen versuchen.
Donnerstag, 19. Oktober 2023
Dr. Tanja Rudtke (Erlangen):
„Der Herr wünscht zu speisen?“ – Ein Streifzug durch die Gasthäuser in der Literatur von Goethe bis zur Gegenwart

Es gibt nicht wenige Texte in der Literatur, in denen einem Gasthaus als Ort der Handlung
eine besondere Funktion zukommt, die Inszenierung von Essen, Trinken und Reden in einem begrenzten öffentlichen Raum ist oftmals ein Spiegel der Gesellschaft, je nach Standort zeigt es die dörfliche Gemeinschaft ebenso wie das zufällige Aufeinandertreffen von Fremden. Neben der Befriedigung des leiblichen Wohls kann dort weiteren Beschäftigungen nachgegangen werden, Versammlungen, Würfel- und Kartenspiel, Tanz und Gesang eignen sich dazu, die Figuren zu charakterisieren, auch als Rahmenhandlung zum Geschichtenerzählen eignet sich dieser Ort, wie das „Wirtshaus im Spessart“ von Wilhelm Hauff zeigt.
Der Vortrag setzt anhand ausgewählter literarischer Beispiele thematische Schwerpunkte, vom studentischen Wirtshausleben über Gasthausbesuche als Rituale der bürgerlichen Alltagskultur bis hin zum Restaurant als Ort des Vergnügens und der Unterhaltung. Dabei werden Exzesse möglich, das Gasthaus dient als transitorischer Ort, dies deutet sich manchmal schon im Namen an, „Auerbachs Keller“ als Abstieg ins Unterreich – oder als Verheißung, wenn man im „Paradiesgärtlein“ verweilt.
Die Art der Lokalität spiegelt zudem Entwicklungen in der Gastronomie und Formen der
Gastlichkeit; insbesondere der Trend zu den Küchen anderer Länder („Heute gehen wir zum Chinesen“) ist oftmals Ausdruck der Sehnsucht nach dem Fremden und sei es nur in kulinarischer Hinsicht.
Donnerstag, 23. November 2023
Dr. Heidi Ritter (Halle/Saale):
„Ich will ihm den Kranz von der Stirne reißen“. Kleist und Goethe

Sie waren Zeitgenossen, aber gehörten verschiedenen Generationen an. Kleist, fast 30 Jahre jünger, war dem berühmten Weimarer Dichter nie begegnet, aber ihm war dessen Urteil über das eigene dichterische Werk wichtig. Goethe jedoch lehnte Kleist, der heute als einer der wichtigsten Dramatiker und Erzähler der deutschen Literatur gilt, ab; den Zerbrochenen Krug brachte er zwar in Weimar auf die Bühne; die in die Länge gezogene Aufführung geriet allerdings zum Fiasko. Der Vortrag geht den Gründen für die (Fehl-)Einschätzung Goethes nach und skizziert Kleists scharfe Reaktion.